Digitalisierung

Wie skaliert man pilotprojekte zur digitalen produktion ohne qualitätsverluste

Wie skaliert man pilotprojekte zur digitalen produktion ohne qualitätsverluste

Pilotprojekte sind wertvoll: Sie liefern schnelles Lernen, begrenzten Investitionsbedarf und erste Ergebnisse. Die Herausforderung beginnt jedoch, wenn aus einem erfolgreichen Pilot eine skalierte digitale Produktion werden soll – und zwar ohne Qualitätseinbußen. Aus meiner Praxisarbeit mit mittelständischen Unternehmen und großen Konzernen weiß ich: Skalierung gelingt nur, wenn wir technische Machbarkeit, Prozessreife und Organisationsfähigkeit gleichzeitig betrachten.

Was bedeutet „skalieren“ in der digitalen Produktion?

Für mich heißt Skalierung nicht einfach „mehr von dem Gleichen“ zu tun. Es bedeutet, ein Lernmotor aus dem Pilot zu bauen, die Prozesse so zu standardisieren, dass sie reproduzierbar sind, und die Technologie so zu gestalten, dass sie robust und wartbar bleibt. Vor allem aber heißt Skalierung: Qualität und Zuverlässigkeit müssen mindestens auf dem Niveau des Piloten bleiben – oft sogar besser.

Die häufigsten Fehler, die Qualität gefährden

Aus zahlreichen Projekten beobachte ich immer wieder ähnliche Fallen:

  • Technische Überforderung: Pilotlösungen sind oft ad-hoc entwickelt (z. B. Proof-of-Concept mit Raspberry Pi, manuellen Skripten oder Insellösungen), die sich nicht in die bestehende IT/OT-Landschaft integrieren lassen.
  • Fehlende Standardisierung: Jede Linie wird individuell angepasst; dadurch entstehen inkonsistente Daten und Prozesse.
  • Unzureichendes Change-Management: Mitarbeitende werden nicht früh genug eingebunden oder geschult, wodurch Bedienfehler und Widerstände entstehen.
  • Skalierung ohne Stabilität: Eine Lösung, die unter Laborbedingungen funktioniert, bricht unter Volumen oder wechselnden Rahmenbedingungen zusammen.
  • Meine 7-pragmatischen Schritte zur skalierenden, qualitätssicheren Produktion

    Ich arbeite in Projekten meist mit einem klaren Fahrplan. Diese sieben Schritte helfen, von der Pilotphase zur großflächigen Produktion zu kommen – ohne Qualitätsverlust.

  • Klare Zieldefinition und Metriken: Definieren Sie messbare Qualitätstreiber (z. B. Ausschussrate, Nacharbeitszeit, First-Pass-Rate). Ein Pilot ist erfolgreich, wenn diese KPIs in stabiler Weise erreicht werden und Stakeholder einem Skalierungsplan zustimmen.
  • Architektur statt Ad-hoc-Lösungen: Planen Sie eine robuste Architektur. Nutzen Sie z. B. Edge-Computing für Latenz-sensitive Prozesse, eine zentrale Datenplattform (z. B. SAP, PTC ThingWorx, AWS IoT) für Aggregation und Analytics und APIs für Integrationen. Das reduziert technische Schulden.
  • Standardisierung von Daten und Prozessen: Etablieren Sie ein einheitliches Datenmodell und Prozesstemplates. Einheitliche BOM-Strukturen, Standard-Work-Anweisungen und Datenschemata sind essenziell, damit Analysen und ML-Modelle verlässliche Aussagen liefern.
  • Skalierbare Automatisierung: Automatisieren Sie repetitive Tasks dort, wo es sich rechnet – nicht überall. RPA oder MES-Erweiterungen sollten modular aufgebaut sein, damit sie auf weitere Linien oder Werke übertragen werden können.
  • Qualitätssicherung integriert denken: Shift-Left-Prinzip für Tests: Qualitätstests gehören früh in Design und Integration. Inline-Messungen, Predictive-Maintenance-Alerts und automatisierte Prüfungen (z. B. Bildverarbeitung mit OpenCV oder kommerziellen Lösungen wie Cognex) verhindern Fehler, bevor sie entstehen.
  • Organisation und Kompetenzaufbau: Schulen Sie Mitarbeitende, bilden Sie „Factory Champions“ aus und etablieren Sie ein Community-of-Practice. Nur so bleibt das nötige Wissen beim Betrieb und kann weitergegeben werden.
  • Iteratives Rollout mit Guardrails: Statt One-shot-Rollout empfehle ich gestaffelte Ausweitung: Pilot → 3-5 Referenzlinien → Werksrolle → Multi-Werk. Jede Phase hat klare Gate-Kriterien (Qualitäts-KPIs, Stabilität, Supportverfügbarkeit).
  • Technische Designprinzipien, die Qualität schützen

    Beim Design der Lösung achte ich auf einige Prinzipien, die sich immer wieder bewähren:

  • Deterministische Prozesse: Prozesse sollten reproduzierbar und deterministisch laufen, damit Ursachen von Abweichungen identifizierbar sind.
  • Beobachtbarkeit: Logging, Monitoring, Tracing – ohne Transparenz können Probleme nicht analysiert werden. Tools wie Prometheus, Grafana oder Cloud-native Monitoring helfen hierbei.
  • Resilienz: Wiederherstellungsstrategien, Caching-Mechanismen und Fallbacks verhindern Produktionsstillstände.
  • Versionierung: Software, Modelle und Prozessdefinitionen versionieren, sodass bei Qualitätsproblemen Rollbacks möglich sind.
  • Organisationale Maßnahmen gegen Qualitätsrisiken

    Technik ist nur die halbe Miete. Die organisatorische Umsetzung entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg:

  • Governance-Board: Ein kleines Steering Committee entscheidet über Scope-, Budget- und Qualitätstore. Dort sitzen Produktion, IT/OT, Qualitätssicherung und der Betriebsrat.
  • Change- und Kommunikationsplan: Regelmäßige Updates, Trainings und Feedback-Schleifen sorgen für Akzeptanz.
  • Support-Modelle: Ein klarer 1st/2nd/3rd-Level-Support mit SLA sichert den laufenden Betrieb.
  • Praxisbeispiel: Skalierung einer Inline-Inspektion bei einem Automobilzulieferer

    Ein Kunde hatte im Pilot eine KI-basierte Bildinspektion mit guter Fehlererkennung auf einer einzelnen Linie. Beim Ausrollen auf weitere Linien traten jedoch vermehrt False Positives auf, die die Qualität und Taktzeit belasteten. Gemeinsam haben wir folgende Maßnahmen umgesetzt:

  • Ursachenanalyse: Datensampling zeigte Unterschiede in Beleuchtung und Kamerawinkeln zwischen Linien.
  • Standardisierung: Einheitliche Beleuchtungsrahmen und Kamerahalterungen wurden eingeführt.
  • Model-Retraining: Das Modell wurde mit Daten aller Linien neu trainiert und versioniert.
  • Edge-Deployment-Plan: Modelle wurden als Container auf Edge-Geräten deployed, mit zentralem Rollout- und Monitoring-Mechanismus.
  • Ergebnis: Die False-Positive-Rate sank um über 60 %, und die Inspektion ließ sich stabil auf drei Werke ausrollen.

    Skalierungstools und Partner, die ich empfehle

    Je nach Unternehmensgröße und Kontext empfehle ich unterschiedliche Tools und Partner. Einige, die sich in Projekten bewährt haben:

  • PLM/MES: Siemens Opcenter, SAP ME, PTC für Produktionsintegration und Traceability.
  • IoT-Plattformen: AWS IoT, Azure IoT Hub, PTC ThingWorx für Datenaggregation und Device-Management.
  • Bildverarbeitung/AI: Cognex, Basler + Open-Source-Stacks für kundenspezifische Modelle und Inspektionen.
  • Observability: Prometheus + Grafana, Elastic Stack für Logging und Monitoring.
  • Wichtig ist: Wählen Sie Technologiepartner, die Standard-Schnittstellen (OPC UA, MQTT, REST APIs) unterstützen. Das erleichtert Integration und verhindert Vendor-Lock-in.

    Wann Sie lieber abbrechen sollten

    Skalierung lohnt nicht immer. Ich rate, einen Rollout zu stoppen, wenn eines der folgenden Alarmsignale auftritt:

  • KPIs verschlechtern sich nachhaltig trotz Gegenmaßnahmen.
  • Technische Schulden wachsen schneller als das Team sie abarbeiten kann.
  • Die Organisation zeigt keine Bereitschaft zu Standardisierung oder zu notwendigen Investitionen.
  • In solchen Fällen ist es besser, den Pilot zu konservieren, Lessons Learned zu dokumentieren und einen neuen, besser vorbereiteten Versuch zu planen.

    Wenn Sie möchten, können wir gemeinsam Ihren aktuellen Pilot evaluieren und einen maßgeschneiderten Skalierungsfahrplan entwickeln – mit klaren Qualitätskriterien, technischen Architekturen und einem pragmatischen Rollout, der Risiken minimiert.

    Sie sollten auch die folgenden Nachrichten lesen:

    Wie verankern sie lessons learned systematisch nach jedem change projekt

    Wie verankern sie lessons learned systematisch nach jedem change projekt

    Nach jedem Change-Projekt kommen die Fragen: Was haben wir gelernt? Wie stellen wir sicher, dass...

    02. Dec
    Wie erstellen sie einen nachhaltigkeitsbericht, der stakeholder wirklich überzeugt

    Wie erstellen sie einen nachhaltigkeitsbericht, der stakeholder wirklich überzeugt

    Nachhaltigkeitsberichte sind mehr als ein Compliance-Dokument – sie sind ein Dialoginstrument mit...

    02. Dec